Erstpublikation in der BAZ vom 14.12.2020
«Einfach eine Schlamperei»
Die Regierungen überholen sich bald täglich mit der Ankündigung neuer Corona-Massnahmen. Kommunikationsprofi Klaus Stöhlker geht mit Bundesräten und Kantonsregierungen hart ins Gericht.
Hauptsache, dem Volk wird bald die Spritze gegeben, dann beruhigt sich alles: Klaus Stöhlker kritisiert diese politische Strategie.
Ein Wettbewerb der Corona-Massnahmen unter Regierungen ist ausgebrochen. Alle stellen irgendwelche Massnahmen in Aussicht. Aber keiner weiss mehr, was ihn um Weihnachten erwarten wird. Die Kommunikation war in der letzten Wochen so verwirrend, dass der Baselbieter Gesundheitsdirektor Thomas Weber den Bundesrat frontal angegriffen und ihm vorgeworfen hat, für die Verwirrung verantwortlich zu sein. Dies, nachdem die Kantone Massnahmen eingeleitet hatten, der Bund alsbald eingriff und die Kantone nachkorrigieren mussten. Inzwischen wollen Ärzte den Taktfahrplan vorgeben, worauf der Bund weitere Massnahmen androht, während Lukas Engelberger, Basler Gesundheitsdirektor und Präsident der Gesundheitsdirektoren, ins Ausland schielt und darum weitere «Eingriffe für unumgänglich» hält.
Mit den Verantwortlichen einer solchen Politik geht der Zürcher Kommunikationsprofi Klaus Stöhlker hart ins Gericht. Stöhlker ist 79 und gehört altersbedingt zur Corona-Hochrisikogruppe, in welcher eine Übersterblichkeit herrscht. Aber Angst ist bei ihm nicht zu spüren.
Herr Stöhlker, Unsicherheit herrscht darüber, wie wir Weihnachten verbringen können – im Lockdown oder doch nicht?
Ich persönlich blicke den Festtagen nur entspannt entgegen. Ich werde mich im Oberwallis auf Waldspaziergängen erholen. Aber die Schweiz befindet sich in einer dramatischen Situation. Hunderttausende von Existenzen sind materiell gefährdet. Die Schweizer fühlen sich äusserst unwohl. Ich rechne zunehmend mit Auseinandersetzungen jeglicher Art. Dies, weil der Bund und die Kantonsregierungen ausserordentlich schlecht durch die Krise führen. Die Schweiz hat soeben bewiesen, dass sie Krise nicht kann, dass Regierungen nicht krisenfähig sind. Und das Volk läuft fast Amok.
Ein paar Belege für Ihre Behauptungen müssen Sie jetzt liefern.
Ein Beispiel: Soeben haben sich in Zürich die Staatsanwälte zu Wort gemeldet. Von 115 seien gut 90 völlig überlastet. Ich konnte meinen Augen fast nicht trauen: Das bedeutet, dass die bestbezahlten Beamten des Landes in Corona-Zeiten nicht mehr in der Lage sind, ihren Job zu bewältigen. Gleichzeitig kommen aus Basel und Zürich Alarmrufe von überlasteten Klinikdirektoren, während mir Klinikmanager aus St. Gallen und der Stadt Zürich – ich war eben mit einigen zum Lunch – parallel erklärten, es sei alles ganz normal.
Was heisst das?
Es herrscht allergrösste Unruhe. Zudem wird auf Panik gemacht. Und das überträgt sich auf das Volk. Die Leute reagieren aggressiv.
Wie erklären Sie sich die Widersprüche in der Informationslage?
Im Kern haben wir in vielen Bereichen der Wirtschaft und in noch mehr Bereichen der öffentlichen Verwaltung eine Personalselektion, die nicht krisenfähig ist. Wir ziehen Menschen nach Prinzipien heran, die Normalverhältnissen entsprechen. In der Krise reagieren und kommunizieren die Rekrutierten dann falsch. Das führt zu Paniksituationen, und die Menschen gehen aufeinander los. Ich stelle Aggressivität in den Familien fest. Weihnachten wird sehr ungemütlich.
Was charakterisiert krisenunfähige Menschen oder Verwaltungen?
Es sind Menschen, die oft aus politischen Gründen Karriere machen und angeleitet werden, von Regierungen, die ebenfalls ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Nach dem Peter-Prinzip – jeder Beschäftigte neigt dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen – wird die Verantwortungslosigkeit nach oben delegiert.
In der Zeitung «Blick» hat Regierungsrat Thomas Weber den Bundesrat kritisiert, Regierungsrat Isaac Reber ebenso in den sozialen Medien.
Ich habe es gelesen. Mittlerweile brechen die Führungseliten auseinander. Dass Regierungsräte den Bundesrat kritisieren und umgekehrt, wäre früher nicht denkbar gewesen. Heute ist dies an der Tagesordnung – ein Signal einer tiefen Krise.
Überfordern uns die vielen Ankündigungen neuer Massnahmen?
Es ist nahezu unverständlich, wie der Bundesrat kommuniziert. Zuerst hatten wir das Bundesamt für Gesundheit BAG, das während eines ersten halben Jahres fleissig, aber nicht immer glücklich kommunizierte. Dann kam die Taskforce, die sich zwei Monate lang ungeheuer kräftig zu Wort meldete. Dann hatten wir sehr viele Professoren, die sich ebenfalls zur Covid-Frage äusserten. Die sind jetzt verstummt. Bundesrat Alain Berset hat sich für alle Gesundheitsfragen zuständig erklärt.
Gilt die Kommunikation aus einem Mund nicht als klug? Dann weiss die Bevölkerung, wer führt und Verantwortung trägt.
Aus einem Mund selbstverständlich, aber nicht aus dem höchsten Mund. Es gibt eine alte Regel für erfahrene Wirtschaftsführer und auch für hohe Militärs: Zuerst müssen sich die unteren Chargen den Mund verbrennen, bevor sich der oberste Boss meldet. Ein Bundesrat darf sich nie zum Sprecher von Detailfragen machen. Dafür bezahlt er teure Bundesbeamte. Dass das BAG unglücklich kommuniziert hat, dass die neue Direktorin Anne Lévy kaum Erfahrung in Kommunikation hat, das mögen alles bedauerliche Zustände sein. Aber dass deswegen der Alleroberste die Rolle des Sprechers einnehmen muss ist der grosse Fehler.
Ist die Kommunikation von Angst geprägt?
Die Politiker selber haben wenig Angst, mir ist jedenfalls noch keiner begegnet, der Angst hat. Aber die Politiker machen Angst. Das ist schrecklich. Sie nutzen das Unwissen und die Hilflosigkeit der Bevölkerung aus.
Zu welchem Nutzen?
Ich sehe darin keinen Plan. Es ist einfach nur eine Schlamperei. Die falschen Leute wurden an die Spitze befördert, die die Massnahmen schlampig umsetzen. Denken Sie an die IT-Programme und App-Entwicklungen zu Corona, denken sie ans VBS, ans Militär. Alles Schlamperei.
Der Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, Lukas Engelberger, stellt auch neue Massnahmen in Aussicht, mit Blick auf die Vorgänge im Ausland. Wie macht er seinen Job?
Gut schweizerisch. Aber er wird in Zürich nicht gehört, in der Nordwestschweiz vielleicht.
Was raten Sie den Regierungen grundsätzlich?
Ich muss vorausschicken: Alle managen die Krise nach dem Prinzip des Gebets: Sie beten, dass die Spritze bald kommt, damit das Volk beruhigt werden kann. Das Hauptanliegen ist, die Impfung vielleicht noch diesen Monat, spätestens aber im Januar zu bringen, um zu zeigen: «Wir gehen gegen Covid vor.» Zwischenzeitlich werden die Löcher gestopft – damit die Krise nicht noch grösser wird. Jedoch werden wir erst an Weihnachten wissen, ob die heutigen Massnahmen tatsächlich Wirkungen zeigen.
Nochmals: Was raten Sie?
Einfach mehr Ruhe herzustellen und nicht so viel zu schwatzen. Aber das funktioniert nicht, wenn ein Enddreissiger-Bundesrat in höchst eleganter Manier mit dem Image eines Beau und Gentleman versucht, das Volk zu beruhigen. Oder wenn die abtretende Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wie eine Schulerzieherin am Zarenhof versucht, das Schweizer Volk in die Zange zu nehmen. Und es wird nicht besser: Als neuen Bundespräsidenten erhalten wir Guy Parmelin, der schwach formulierungsfähig ist – vor allem in deutscher Sprache. Die Feiertage sollten dazu benutzt werden, wieder eine Linie herzustellen.
Das alles klingt pessimistisch. Was kommt auf die Schweiz zu?
In der ersten Welle hat die Schweiz nicht schlecht abgeschnitten. Das gab ein falsches Gefühl der Sicherheit. Wir erleben jetzt die Gefährdung von Hunderttausenden von Existenzen – mit einer Verschuldung, die die Schweiz seit 80 Jahren nicht gesehen hat. Die heranwachsende Jugend und ihre Kinder werden das bezahlen müssen. Dieser Staatskrise ist der Bundesrat nicht gewachsen. Vorsichtig schätze ich, dass sich die Gesundheitskrise bis mindestens Mitte des nächsten Jahres hinhalten wird. Dann wird sich in grossen Teilen der Schweiz eine Wirtschaftskrise ausbreiten, gefolgt von einer Finanzierungskrise. Wir beschäftigen uns mit den Folgen von Corona die nächsten drei Jahre. Mindestens.