Wissenschaft(er) und Covid-19

Experten sollten sich etwas zurücknehmen, sonst schwindet das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft

Bericht in den AZ Medien vom 14. Dezember von Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung, Universität Bern und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht.

Wir alle wissen es: «Die Erde ist flach.» Wer es nicht glaubt, soll nachschauen im Internet, es finden sich viele Beweise. Bereits in hochstehenden Frühkulturen war unsere Welt als Erdscheibe erkannt, und Anfang des 21. Jahrhunderts gibt es weiterhin «Flacherdler» sowie die «Flat Earth Society». Doch nicht jedermann glaubt an eine flache Erde, insbesondere eine Menschenkategorie nicht: die Wissenschafter.

«Flacherdler» und weitere Verschwörungstheoretiker, wie beispielsweise die Vertreter von «Es gibt keinen Klimawandel!» oder «Corona-Leugner», werden gerne als sogenannte Wissenschaftsleugner (ab)qualifiziert und in einen Topf geworfen mit Herrn Trump, der wenig bis gar nichts von Wissenschaften und von Wissenschaftern hält. Wie unbestritten ist Wissenschaft eigentlich? Sind Wissenschafter allwissend?

Als professioneller Wissenschafter erlaube ich mir einige persönliche Überlegungen, naheliegend am aktuellen Beispiel von Covid-19.

Die föderalistische Kakofonie in der Schweiz und das politische Hickhack zu Massnahmen gegen Corona überraschen niemanden: typisch Politik. Umso verständlicher der Wunsch, dass Wissenschaften und Wissenschafter – also Experten – sagen, was Sache ist. Leider scheint heute nach wie vor relativ wenig Wissen zu Covid-19 wirklich gesichert. Dies erklärt wohl ständig wechselnde «wissenschaftliche» Aus- und Vorhersagen, etwa zu Gesundheitsgefahren, zu Masken, zu Immunitäten oder zur Effizienz von Massnahmen.

Den wenigsten dürfte bewusst gewesen sein, wie viele Virologen, Epidemiologen, Immunologen und sonstige Logen wir in der Schweiz  haben. Seit Monaten beglücken (und belehren) uns Experten in Pressekonferenzen und Interviews, nicht immer ganz aufrichtig, wie es mir scheint. Auf eine Vielzahl von Coronafragen gäbe es nämlich nur eine korrekte Antwort: «Wir wissen es nicht.» Dies könnte natürlich ergänzt werden mit: «Aber wir bemühen uns, hoffentlich sinnvolle Empfehlungen zu geben.» Von mündigen Bürgern darf erwarten werden, dass bei ehrlichen Antworten weder Panik noch Endzeitstimmung ausbrechen.

Wissenschafter sind nicht allwissend. Die Schweiz als demokratischer Staat ist keine Expertokratie und sollte es nicht sein, weil eben Experten ebenfalls nicht alles wissen (können). Dies ist kein Vorwurf an die Wissenschaft(er), sondern vielmehr mein Wunsch, sich selber etwas weniger wichtig zu nehmen und ehrlich gegenüber dem eigenen Unwissen zu sein: «Zwischenwahrheiten» der Experten stellen keine endgültigen Wahrheiten dar. Zwei Aspekte zu den Coronaexperten in der Schweiz irritieren besonders:

Einerseits untergraben ständig wechselnde Aussagen (und eigene Profilierungsversuche) in den Medien schlicht das Vertrauen in die Wissenschaft. Dadurch wird der Nährboden angelegt für Verschwörungstheorien und, besonders bedenklich, für Wissenschaftsleugnung. Liebe Wissenschafter, nehmt Euch doch bitte etwas zurück – und weniger wichtig!

Andererseits geht es nicht an, dass die offiziellen Experten des Bundes ständig dem Bundesrat, den sie zu beraten haben, öffentlich widersprechen. Damit gebärden sich einige Experten in Interviews geradezu als Totengräber unserer Vertrauensdemokratie. Liebe Wissenschafter, Euer Job ist die Beratung und nicht die Staatsführung – sonst geht in die Politik!

Ich bin kein Wissenschaftsleugner: Die Erde ist nicht flach. Ebenso wenig bin ich ein Verschwörungstheoretiker: Bill Gates plant keine Globalimpfung (und hat Corona nicht «erfunden»). Das Covid-19-Virus ist eine Realität, trotzdem dürfen und sollen dessen Gefahren und die Massnahmen dagegen in einer demokratischen Gesellschaft immer wieder hinterfragt werden. Kritische Staatsbürger  («Coronaskeptiker») müssen nicht strammstehen vor Experten. Und etwas mehr Gelassenheit täte allen gut: nicht zuletzt Wissenschaftern.