Artikel aus der BAZ von Daniel Wahl vom 24.4.21
Das Angebot von schnellen und unkomplizierten Corona-Tests hat das Basler Familienunternehmen «Labor Rothen» über die Stadt hinaus schlagartig bekannt gemacht. Eine Bilanz nach einem Jahr Kampf gegen das Virus.
Gegen Mittag stehen die Kunden vor dem Labor Rothen bei der Lyss in Basel wieder einmal Schlange. Eine Stunde zuvor hatte Claude Rothen, Leiter des medizinischen Analysezentrums, das in Basel Corona-, Antigen- und Antikörpertests anbietet, seinen Securitas-Mann nach Hause geschickt. Jetzt bestellt er ihn wieder ein. Das Geschäftsleben mit dem Coronavirus ist unbeständig wie das Aprilwetter. Darum steht die Sicherheitskraft wenig später wieder vor dem Eingang in der Kornhausgasse, um erste Kundenfragen zu beantworten, auf die Einhaltung der Abstände zu achten und darauf, dass sich niemand in einen falschen Hauseingang verirrt. Kurz: Der Mann ist da, um Sicherheit auszustrahlen für alle, die rund um das Virus die Nerven verlieren könnten, wenn jemand zu stark hustet.
Rothen, Chemiker mit medizinischem Doktortitel, einem Master of Science und zwölfjähriger Weiterbildung, ist die Ruhe im Sturm selbst. Er bleibt gut gelaunt und ist per Du mit seinem Personal, das ihm auch gern einmal auf den Rücken tippt. Dann dreht er sich um und gibt kurz Rat. Im angegliederten Ambulatorium betreut seine Frau Patienten. Im Gebäude, wo mutmasslich kranke Virenschleudern auftauchen, wo Flüssigkeiten umhergereicht werden, die Viren enthalten könnten, geht es familiär und entspannt zu. Irgendwie scheint Claude Rothen wie ein Bademeister am Corona-See zu arbeiten. Kaum vorstellbar, dass er nicht nass wird. Doch Angst hat hier keiner. Rothen am wenigsten.
Vielmehr herrscht Gelassenheit bei den nunmehr 60 Angestellten: «Keiner unserer Mitarbeiter ist je im Zusammenhang mit seinem Arbeitsplatz an Corona erkrankt», sagt der Laborleiter. Und er kenne keinen, der zweimal an Corona erkrankt sei. Das Virus hat an Schrecken eingebüsst. «Aber ich habe das Gefühl, es macht, was es will. Noch immer wissen wir nicht präzis, wie man sich wirklich ansteckt.» Häufig in der Familie, irgendwie über die Luft, aber kaum im Freien. Rothen, bei dem Hunderte von Corona-Patienten ein und aus gehen, kennt auch keinen Einzigen, der sich auf einer Skiterrasse angesteckt hat: «Es konnte bis heute in der Schweiz kein Nachweis dokumentiert werden, aber Angst und Panik im Januar waren gross. Vor unserem Unwissen habe ich Respekt.»
Wissenschaft mit den Genen der Tochter
Am Boden, an seinen Schreibtisch angelehnt, steht fast etwas verschämt ein Bild, das Claude Rothen noch in einem Mondanzug zeigt. Ein Bild vom vergangenen April. Heute ist man lockererer drauf: FFP2-Maske, Brille, Handschuhe, Schutzmantel reichen, wenn er Altersheime besucht, Corona-Tests macht und neuerdings auch die Bildung von Antikörpern statistisch dokumentiert. Die Entwicklung von Corona-Antikörpern hat ihn schon bei seiner Tochter interessiert, als sie im letzten Jahr wegen Corona 10 Tage lang das Bett hütete. «Ihre Antikörper sind lang anhaltend und stark», sagt er. Das macht ihn zuversichtlich. Der Mensch sei mit einem wunderbaren Immunsystem ausgerüstet. Die Antikörper sind bei den meisten Menschen meistens stark.
So hatte der neugierige Wissenschaftler auch die Antikörper-Entwicklung eines Heims im Baselbiet nach den Impfungen dokumentieren können. Es sind rund 150 Proben, nicht repräsentativ, aber ein guter Grund, weiter daran forschen zu können. «Wenn die Skala von 0 – keine Antikörper – bis 2500 Einheiten pro Milliliter geht, dann verzeichnen wir fünf Prozent der Betagten, die keine Reaktionen zeigen.» Wenn Rothen mit den Kantonsärzten über diese Zahlenwerte spricht, dann antworte man ihm, die Resultate seien interessant. Über eine solche Bemerkung hinaus passiere dann aber seltsamerweise nichts. «Eigentlich stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller ist, anstelle eines Impfpasses einen Antikörperpass auszustellen», sagt Rothen.
Doch was ist besser: das natürliche Abwehrsystem oder die Impfung? Das kann Rothen so nicht beantworten. Jedenfalls beteiligt sich das Labor auch mit einer Diplomarbeit über die Effizienz und Kraft der Gedächtniszelle an der Bekämpfung von Coronaviren.
Zu Beginn der Pandemie, als das Laborgeschäft einbrach, weil die Spitäler einen Patientenstopp verfügten und Rothen keine Aufträge mehr hatte, schlief der 58-jährige Vater von vier Kindern schlecht. Wird er erstmals im Familienunternehmen in zweiter Generation Leute entlassen müssen? Zudem hatte auch er sich verschätzt mit den Bildern von China im Kopf. Er dachte, dass im Labor die Reagenzien ausgehen würden und lagerte zu viele ein. Fieberhaft suchte er, letztlich auch für seine Angestellten, neue Aufgabenfelder. Man ging in Altersheime und erwarb sich nach und nach Corona-Kompetenzen und die entsprechenden Maschinen und Geräte dafür.
Sichverschätzen gehört zum unsicheren Corona-Geschäft. Heute gibt es zu viele PCR-Testmaschinen auf dem Markt. Die Spitäler haben in Hallen Hunderte von teuren Beatmungsgeräten eingelagert, wo sie allmählich verstauben. Bis vor Ostern wollte der Bund auch vom Labor Rothen wissen, wie viele Patienten sich mit der englischen Mutation angesteckt hätten. Nachdem nun klar wurde, dass 95 Prozent der erkrankten Schweizer sich mit der britischen B.1.1.7-Variante infiziert haben, wollte der Bund nichts mehr von den Erhebungen wissen. «Unmittelbar vor Ostern teilte uns das Bundesamt für Gesundheit mit, es brauche den Nachweis der Mutation nicht mehr. Schon nach Ostermontag gab es kein Geld mehr dafür», sagt Rothen. Seither stehen die teuren Anschaffungen still. Geschäftsrisiko.
Dennoch: Das Labor brummt. Kunden lieben die leichtere Administration und den etwas schnelleren Service als beim Staat. Das «Labor Rothen» ist ein Begriff in Basel und der Agglomeration geworden. Nachdem er sich Sorgen über Kurzarbeit und Entlassungen machte, konnte er das Personal um zehn Arbeitskräfte aufstocken. Nach der Pandemie wird die Auftragslage zurückgehen. So viel ist gewiss. Aber das bereitet Claude Rothen weniger Sorgen als die Ungewissheit, «ob wir je wieder daraus herauskommen», wie er es fast salopp formuliert. «Es ist eine Angst-Panik-Krise, wir züchten sie fast», sagt er.
Etwas wehmütig wendet er seinen Blick ab vom emsigen Treiben in seinem Labor, blickt durch die Glasfront auf das dunkle und stillgelegte Restaurant Antalya vis-à-vis in der Kornhausgasse. «Erinnern Sie sich», nimmt er das Gespräch auf, «an die schrecklich hohen Fallzahlen in Spanien? Dort blieben die Restaurants bei Maskenpflicht offen. Die Zahlen gingen runter. «Ich staune und schaue zu», sinniert Rothen und ergänzt nochmals, «und ich habe Respekt vor dem Unwissen.»