Zum Originalartikel von Prof. Dr. med. Pietro Vernazza
Gestern hat die britische Zulassungsbehörde den ersten SARS-CoV-2 Impfstoff zugelassen. Das ist die erste Zulassung einer Behörde, welche die vollen Standardprozeduren einer Zulassung verfolgt hat, auch wenn der Prozess beschleunigt wurde. Wir wissen von Regierungen, welche eine Zulassung eines Impfstoffes bereits nach einer kurzen Evaluation in einer Phase II Studie zugelassen haben sollen. Das ist hier aber nicht der Fall. Mit der Publikation der Zulassung haben wir auch die Möglichkeit, etwas mehr Informationen über den neuen Impfstoff zu erfahren.
mRNA-Covid-Impfung der Firma Pfizer
Beim neu bewilligten Impfstoff handelt es sich um den mRNA-Impfstoff (BNT162b2) der Firma Pfizer. Der Broschüre für Fachpersonen kann man schon einige wichtige Informationen entnehmen. Diese Informationen ersetzen noch keine vollständige Publikation der Wirksamkeit- und Sicherheitsdaten. Sie sind aber ein erster Schritt, weshalb wir sie hier zusammenfassen:
- Mechanismus des mRNA-Impfstoffes
Es bestehen immer Widerstände bei der Einführung einer neuen Technologie. Das war schon bei der Eisenbahn so. Doch grundsätzlich erachte ich den Mechanismus als sehr interessant und die mRNA-Technologie wird nicht nur für die Entwicklung von Impfstoffen verwendet (Review Ho et al, 2020). Mit dieser Technologie kann ein Bauplan für die Bildung eines Eiweissstoffes in die menschliche Zelle eingeführt werden. Beim mRNA-Impfstoff erfolgt dies in liposomaler Form. Nach intramuskulärer Injektion werden die Liposomen von Zellen an der Injektionsstelle aufgenommen. Basierend auf dem „Bauplan“ der mRNA wird in der Zelle ein Protein gebildet. Wo dies nicht geschieht, wird die mRNA in der Zelle zerstört. Das neu gebildete Eiweiss, hier das „Spike-Protein“ des SARS-CoV-2, wird dann in der Folge vom Immunsystem als fremd erkannt und die Immunreaktion setzt ein, wie bei jeder Impfung.
Der Vorteil der Methode ist die relativ einfache Produktion eines solchen Impfstoffes und die Tatsache, dass keine zusätzlichen Impfverstärker notwendig sind. Natürlich kann man einwenden, dass die Methode noch nicht mit anderen Impfstoffen versucht wurde, andererseits kann man darin auch eine Chance für eine neue technologische Entwicklung sehen. Auf jeden Fall wird es wichtig sein, dass wir unsere Erfahrungen mit der neuen Technologie gut überwachen. - Kühlpflicht
Der mRNA-Impfstoff der Firma Pfizer muss bei -80°C gelagert werden. Die gute Botschaft ist, dass der Impfstoff nach dem Auftauen für 5 Tage im Kühlschrank stabil bleibt. Dadurch lässt sich mit einem Versand von einem Zentrallager zweimal pro Woche die Logistik schon bewerkstelligen (Fachinformation, S. 9). - Impfdosis
Die Impfung wird in zwei Dosen im Abstand von 3 Wochen intramuskulär verabreicht. Bei Blutverdünnung wird im Moment noch eher von einer Anwendung abgeraten (Fachinformation, S. 2). Zugelassen wird die Impfung ab einem Alter von 16 Jahren. - Wirksamkeit
In den ersten Phase-2 Studien wurde die Produktion von Abwehrzellen und Antikörpern durch die Impfung geprüft und als sehr wirksam beurteilt. Eine Woche nach der ersten Dosis lassen sich Antikörper nachweisen. Die Anwendung der zweiten Dosis soll eine länger anhaltende Immunantwort garantieren.
In den Phase-3 Studien wurden rund 44’000 Personen ab 12 Jahren untersucht (je 50% erhielten den Impfstoff resp. Placebo). Mindestens 40% der Population musste über 55 Jahre als sein. Die Probanden werden nun noch für insgesamt 24 Monate regelmässig auf Nebenwirkungen der Impfung untersucht.
Bisher dauerte die gesamte Beobachtungszeit in beiden Behandlungsarmen (Placebo / Impfung) rund 2200 Personen-Jahre. In dieser Zeit wurden in der Impfgruppe 8, in der gleich grossen Placebo-Gruppe 162 Covid-19-Infektionen registriert (Fachinformation, S. 8). Dies ist hoch signifikant und entspricht einer Impfwirkung von 95% (90-98%). Die Wirksamkeit in der älteren Population (über 65 oder über 75 Jahre) war ebenso hoch (95% resp. 100%). Allerdings fehlen Angaben zur Anzahl Infektionen in diesen Altersgruppen. - Risiko „ADE“, Antibody Dependant Enhancement
Als theoretisches Risiko wurde bisher immer die Möglichkeit einer Verschlechterung des Verlaufes nach einer vor-bestehenden Immunantwort diskutiert (Lee, Nature Microbiol 2020). Ein solcher Mechanismus ist bei Dengue bekannt und wurde bei MERS diskutiert. Dabei geht es darum, dass vor-bestehende Antikörper dem Virus bei einer Zweitinfektion ein einfacheres Eindringen in die Zelle ermöglichen könnten. Ich persönlich erachte dieses Risiko aus verschiedenen Gründen als minimal, es gibt aber auch Autoren, welche dieses Risiko als nicht unbedeutend einstufen (Cardozo, 2020). Die Angaben in der Fachinformation sind nicht ausreichend um zu beurteilen, ob die 8 Fälle bei den geimpften Personen schwerer verlaufen sind. Wäre dies der Fall gewesen, wäre dies einer Zulassungsbehörde vermutlich aufgefallen. - Einschränkungen zur Wirksamkeit
Nicht untersucht wurde die Wirksamkeit bei Personen unter immunsuppressiver Therapie und bei schwangeren Frauen sowie bei Personen, die schon eine Covid-19 Erkrankung durchgemacht hatten. Die Fachinformation enthält keine Angaben zur Wirksamkeit in der älteren Bevölkerung und bei Menschen mit speziellen Risikofaktoren für eine Erkrankung mit Covid-19. Es wird einzig erwähnt, dass die Wirksamkeit bei Personen mit Diabetes oder Adipositas (BMI>30) nicht eingeschränkt war, wobei keine Angaben über die Anzahl Personen in den Untergruppen gemacht wurde (Fachinformation, S. 8).
Diese Einschränkung ist insofern relevant, da man ja mit der Impfung besonders diese am stärksten gefährdeten Gruppen vor einer Infektion schützen will und diese auch zuerst geimpft werden sollen. Sicher wird die UK- Zulassungsbehörde noch mehr Daten zur Wirksamkeit in dieser Population haben. Wir warten noch gespannt auf die entsprechende Originalpublikation. - Nebenwirkungen und Verträglichkeit der Impfung
Die Angaben zu den Nebenwirkungen der Impfung sind etwas allgemein. Im Vordergrund stehen die Reaktion nach einer Impfung, welche eigentlich zu erwarten sind. Genannt werden dabei: Schmerzen an der Injektiosstelle (> 80%), Müdigkeit (> 60%), Kopfschmerzen (> 50%), Muskelschmerzen (> 30%), Frösteln (> 30%), Gelenkschmerzen (> 20%) und Fieber (> 10%, Fachinformation, S. 6). Über Langzeitfolgen oder seltene Impffolgen wurde nichts berichtet. Die Behörden weisen darauf hin, dass solche Beobachtungen durch die Ärzte unbedingt gemeldet werden sollen.
Offene Fragen
Sicher darf man davon ausgehen, dass die britische Behörde die vorhandenen Daten ausführlich konsultiert hat. Einige Fragen müssen wir aber sicher noch genauer verfolgen:
- Es sieht so aus, dass der Impfstoff relativ sicher ist. Allerdings bilden Erfahrungen von knapp 20’000 geimpften Personen zur Beurteilung von seltenen aber schweren Impfnebenwirkungen eine dünne Basis. Sicher müssen diese Daten noch weiter beobachtet werden. Angesichts der doch heute beobachteten recht milden Symptomatik in der Mehrzahl von jungen Menschen muss die Sicherheit des Impfstoffes doch ein wichtiges Anliegen bleiben.
- Nutzen/Risiko-Analyse: Die Anforderungen an die Sicherheit einer Impfung richten sich nach dem Risiko der Erkrankung. An einer Masern-Erkrankung stirbt eines von 1000 erkrankten Kindern. Da müssen wir alles daran setzen, dies zu verhindern (und wir haben glücklicherweise eine sehr sichere, millionenfach getestete Impfung). Die Covid-Erkrankung hat bei Menschen unter 70 Jahren ein deutlich geringeres Risiko. Umso vorsichtiger sollten wir mit der überstürzten Einführung der Impfung bei wenig gefährdeten Personen sein.
- Die Wirksamkeit in den besonders gefährdeten Gruppen ist eine wichtige Frage. Andere Impfungen sind gerade in diesen Populationen kaum oder nicht wirksam (Simonson, Lancet ID, 2007).
- Die Möglichkeit eines ADE (s. oben) scheint unwahrscheinlich, kann aber noch nicht ausgeschlossen werden.
Nachtrag 4.12.20: Mitteilung der FMH
In der Schweizerischen Ärztezeitung vom 2.12.20 diskutiert der Autor, Carlos Beat Quinto, die Frage der besten Impfstrategie. Er schreibt: „Die Sicherheit des Impfstoffes hat oberste Priorität, weil über 90% der Covid-19-Infizierten einen leichten Krankheitsverlauf haben„. Das ist sicher so. Daraus folgert er dann: „Die Impfstrategie sollte deshalb zu Beginn die Impfung von Risikopersonen anstreben mit dem Ziel, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden, und nicht eine Massenimpfung mit dem Ziel einer Herdenimmunität.“ Dem kann ich nur zustimmen.
Prof. Dr. med. Pietro Vernazza
Chefarzt
E-Mail: Pietro.Vernazza@kssg.ch
Prof. Pietro Vernazza ist Chefarzt der Infektiologie und seit 1985 beim Kantonsspital St. Gallen tätig. Vor seiner Arbeit am Kantonsspital hat er folgende Ausbildungen absolviert: Studium Humanmedizin, Universität Zürich 1976 -1982 / Klinische Ausbildung Innere Medizin 1983-1988, Sursee und St. Gallen / Ausbildung Infektiologie 1989-6/91 St. Gallen, 7/91-9/93 UNC, Chapel Hill, NC, USA